Ein besonderes Augenmerk wurde beim IDAHOBITA* 2025 auf die Situation älterer LSBTIQ-Personen gelegt. Darüber spricht Dr. Miranda Leontowitsch in ihrem Vortrag. Die Wissenschaftlerin forschte an der Goethe-Universität zu "Queer Ageing" und leitet die "Leitstelle Älterwerden" der Stadt Frankfurt am Main.
Ich möchte mit einem Zitat von Eike beginnen.
Ich lebe heute von meiner Rente, ja? Und bin trotzdem glücklich, ja? Und das ist hier im Haus ein Problem, weil es hier Leute gibt, die nicht glücklich sind. Und die sind natürlich garstig dadurch. Ja? Aber wir haben uns hier in einem Kreis zusammengefunden, ein relativ kleiner Kreis, vielleicht mit zehn Frauen. Für die bin ich eindeutig und nichts anderes als die Eike. Ich kann ja gar nichts anderes sein. Manchmal sagen sie: "Bei dir kommt der Macho noch raus." Darauf sage ich: "Horch doch mal, ich habe fünfzig Jahre meines Lebens nur Verantwortung gehabt, ja? Ich habe gekämpft. Und dass das ein Teil meines Lebens ist, das kann ich ja nicht einfach abstellen, ich habe ja keinen Schalter, wo ich mal klick mache, ja? Da müsst ihr halt mit einverstanden sein, dass ich manchmal Macho bin." Dafür sagen sie aber auch: "Ach weißt du, Eike, wir sind froh, dass wir dich haben, weil solche Sachen könnte keiner von uns außer dir organisieren. Du bist halt so eine Macherin." – "Ja", sage ich, "also bitteschön!"
Eike ist eine Trans-Frau, die 1938 geboren, bereits im Kindesalter ihr Anderssein verspürt. Eike heiratet eine Frau und hat zwei Kinder. Nach einem langjährigen, phasenweise krisenhaften Selbstfindungsprozess erfolgt die angleichende Operation schließlich in ihren frühen Fünfzigern. Zum Zeitpunkt des Interviews ist sie 78 Jahre alt, erhält Leistungen der Pflegestufe I und wohnt in einer Altenwohnanlage.
Das Zitat stammt aus einem Buch mit dem Titel "Queeres Altern - Biographische Erzählungen", das ich gemeinsam mit Ralf Lottmann, Christina Duelfer und Smilla Henning vorbereite. Es enthält verschriftlicht Interviewausschnitte von acht älteren Personen, die sich als schwul, als lesbisch als "dazwischen" oder als Trans-Frau positionieren. Sie beschreiben in den Interview ihren Lebensweg, ihr Altern und ihre Erfahrung mit zunehmender Pflegebedürftigkeit.
Sophia sagt:
Ich bin immer sehr offen und direkt als Lesbe gewesen. Und das ist wichtig für mich, das festzustellen, denn im Alter als Empfängerin der Grundsicherung muss ich das leugnen. Weil, ich kriege nicht genug zum Leben, aber genug, um nicht zu sterben. Und wenn ich sage, dass ich Lesbe bin und mit meiner Lebensgefährtin zusammenwohne, bekomme ich dreißig oder vierzig Euro weniger. Das tut mir manchmal weh, aber ich habe mich dazu entschieden, das zu leugnen, weil wir einen nicht gerade sympathischen und entgegenkommenden Beamten im Sozialamt haben. Daher müssen wir sagen, dass wir eine Wohngemeinschaft haben. Deshalb haben wir zwei Kühlschränke, zwei Betten, aber mir tut es eben weh.
1940 in einem südamerikanischen Land geboren, verliebt Sofia sich bereits früh in Frauen und führt Beziehungen. Dass sie lesbisch ist, realisiert sie erst mit über dreißig Jahren nach ihrer Emigration. Sie arbeitet zunächst ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland, beginnt aber dann ein Studium an der Universität. Sie lernt ihre deutlich jüngere Lebensgefährtin kennen und wird Teil deren Familie. Zum Zeitpunkt des Interviews ist Sofia 75 Jahre alt und lebt mit einer starken Gehbehinderung. Aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation und brüchigen Berufsbiographien beziehen beide Frauen Grundsicherung. Ihre Pflege organisieren sie durch ihr soziales Netzwerk.
Diese Zitate geben einen kleinen Einblick in die Herausforderungen als Transfrau oder Lesbe alt zu werden. Sie zeugen aber auch von dem Stolz, der Handlungsmacht und dem Durchhaltevermögen der Biographinnen. Die Lebensgeschichten sind dabei eine Auswahl und repräsentieren nicht alle Erfahrungen von LSBTIQ* Menschen im Alter. Vielmehr wollen wir die vielen unterschiedlichen Erfahrungen der Interviewteilnehmer*innen aus unterschiedlichen Teilen von Deutschland - sowohl aus der Kleinstadt als auch der Großstadt, in West-und Ostdeutschland - darstellen. Um diese besser einzuordnen, hat Christopher Zraunig eine kurze Geschichte von queerem Leben in Deutschland beigetragen. Er beginnt hierfür mit dem Jahr 1926 – dem Jahr, in dem die älteste in diesem Buch porträtierte Person geboren wurde. Auch dieser geschichtliche Abriss ist selektiv. Manche Personengruppen bekommen mehr Gehör als andere, was häufig mit den verfügbaren historischen Quellen zu tun hat. Über die Erfahrungen und Lebenswelten homosexueller Männer oder lesbischer Frauen ist deutlich mehr in Archiven zu finden als über bi+ oder inter* Personen. Diese Problematik besteht fort. Dennoch sind wir zuversichtlich, dass die Vielfalt der erzählten Lebensgeschichten dazu beitragen werden die Geschichte queeren Lebens in Deutschland sichtbarer zu machen.
Ich weiß, dass die Bezeichnung queer oder LSBTIQ* für viele ältere Menschen kein Identifikationsmerkmal darstellen muss und nicht für alle eine adäquate Bezeichnung ist. Ich benutze sie hier und wir benutzen sie im Buch, um die unterschiedlichen Orientierungen, Identitäten und Zuschreibungen zur Geltung zu bringen. Wir verstehen den Gebrauch als einen Versuch des Brückenschlages zwischen den Erfahrungen älterer Menschen, die diese Begriffe für sich selbst nicht nutzen, und den nachfolgenden Geburtskohorten und Generationen, die mit diesen Begriffen selbstverständlich umgehen, zum Beispiel als Marker für Differenz und Solidarität.
Homosexualität wurde im 20. Jahrhundert in Deutschland während des Kaiserreichs, der Weimarer Republik, der NS-Diktatur, der BRD und der DDR strafrechtlich verfolgt. Erst 1994 endete in der Bundesrepublik Deutschland die strafrechtliche Diskriminierung. Die Angst vor einer drohenden Strafe beziehungsweise Erpressbarkeit hat jedoch Generationen der heutigen schwulen Älteren geprägt. In der Bundesrepublik blieb der § 175 StGB bis 1969 in Kraft, so dass die Verfolgung von schwulen Männern in und nach der NS-Zeit auf der Gruppe als Ganzes lastet. Auch wenn lesbische Sexualität in der BRD in einem geringerem Maβe sanktioniert wurde als in der DDR, wo es einen Strafbestand darstellte, lebten lesbische Frauen oftmals ebenso in großer Angst und waren starken Repressionen ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund von Verfolgung und Diskriminierung ist vor allem älteren queeren Menschen ein hohes Maß an sozialer Isolation und Ausgrenzung lebensgeschichtlich eingeschrieben. Lesben und Schwule der Pre-Stonewall-Generation griffen angesichts der gesellschaftlichen Repression vielfach zu Lügen, Scheinheiraten und anderen Informationskontrollen, die ihre Lebensführung – bis ins hohe Alter – erschwerten, weshalb von erheblichen Unterschieden in der "Offenheit und Diskriminierungsfurcht" zwischen unterschiedlichen Geburtskohorten auszugehen ist.
Einige der Biographinnen haben trotz Diskriminierung, Pflegebedürftigkeit und körperlichen sowie emotionalen Verlusten dennoch einen positiven Ausblick.
So wie Anton, der seit 15 Jahren in einem Pflegeheim lebt:
Jetzt lebe ich hier im Heim. Mit dem Heim bin ich insgesamt sehr zufrieden. Ich meine, haben Sie schon mal so ein Heim gesehen? Wir hatten auch keine Probleme, als wir hierherkamen, überhaupt nicht. Wir küssten uns vor den Leuten und tja, das war vollkommen normal. Das hab ich immer gemacht und das mache ich hier, weil ich immer so gelebt habe. Also was die alle in anderen Heimen durchmachen, das habe ich, haben wir nicht durchgemacht. Überhaupt nicht. Ich hatte nie Angst vor Strafverfolgung und auch keine Angst, stigmatisiert zu werden.
Wie in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen wird innerhalb der LSBTIQ* Communities das Thema Alter(n) als Randthema behandelt, was dazu führt, dass ältere LSBTIQ* Personen nicht sichtbar sind und generationenübergreifende Begegnungsräume fehlen, in denen Erfahrungen und Wissen geteilt werden können. Das kann auf der individuellen Ebene zur Folge haben, dass Wissen um nachahmenswerte Lebensmodelle fehlt oder Generativität - als die Möglichkeit Wissen von einer Generation zu nächsten weiterzugeben - nicht stattfinden kann. Auf einer gesellschaftlichen Ebene kann der fehlende Austausch dazu führen, dass die LSBTIQ* Communities (nach innen sowie nach außen) als ohne Geschichte wahrgenommen werden, was ihre soziale Unsichtbarkeit verstärkt. Das Buch "Queeres Altern" beinhaltet somit ein doppeltes Potenzial:
- zum einen als Erinnerungsarbeit, im Sinne von queeres Erinnern als eine Gegenaktivität zum Vergessen;
- zum anderen als Fähigkeit, durch das Leben und Erleben anderer Zeitlichkeit und durch die Offenlegung sozialer Ein- und Ausschlussprozesse, Gegennarrative zu herkömmlichen Alternsbildern zu entwickeln. Denn Alter ist mehr als Großelternschaft und aktives Altern.
Dabei ist das Teilen von Lebensgeschichten wichtig für:
- ältere queere Menschen, die Erfahrungen mit denen der Biograph*innen teilen,
- ältere nicht-queere Menschen, die neugierig sind auf alternative Altersbilder und Lebensentwürfe,
- junge queere Menschen, die vielleicht mit Sorge in die Zukunft blicken oder noch gar nicht über das Alter(n) nachgedacht haben sowie
- nicht-queere Menschen, die mehr über die Geschichte von LSBTIQ* in Deutschland lernen möchten.
Ich schließe mit einem Zitat von Audre Lorde, die sich als "black lesbian mother, worrier, poet" beschreibt:
"Ich bin immer wieder zu der Überzeugung gelangt, dass, was mir wichtig ist, ausgesprochen werden muss, verbal gemacht und geteilt, auch mit dem Risiko, dass es beschädigt oder missverstanden wird. Dass das Sprechen mich bereichert jenseits aller anderen Effekte."
Mit diesen Worten wünsche ich uns allen heute und morgen mehr altersübergreifende Dialoge sowie Offenheit für das Vergangene, um gestärkt und wissend die Gegenwart und Zukunft gestalten zu können.
Quelle: Leontowitsch, M.; Lottmann, R.; Dülfer, C. & Henning, S. (Hg.) (In Druck). Queeres Altern - Biographische Erzählungen. Transcript Verlag.